Fermentation als Schlüssel zur menschlichen Gehirnentwicklung?

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Fermentation als Schlüssel zur menschlichen Gehirnentwicklung?

Eine im November 2023 veröffentlichte Studie von Bryant, Hansen und Hecht stellt die Hypothese unserer derzeitigen Gehirnentwicklung auf den Kopf.  
 
Unsere Vorfahren zeichneten sich durch ein vergleichsweise kleines Gehirn und einen ausgedehnten Verdauungstrakt aus. Sowohl das Gehirn als auch der Darm sind energetisch anspruchsvolle Organe, doch ein ausgedehnter Darm war für die Verarbeitung der damals vorherrschenden pflanzlichen und rohen Nahrung notwendig. Über die Jahrhunderte entwickelte sich das menschliche Gehirn weiter und der Verdauungstrakt verkürzte sich – ein Ergebnis evolutionärer Mutationen, die sich durchsetzten. Lange Zeit wurde die Entdeckung des Feuers und der Übergang zum Kochen als Wendepunkt für diese Entwicklung betrachtet. Doch die Autor:innen dieser Studie stellen die Hypothese auf, dass nicht das Feuer, sondern die Aufnahme von extern fermentierten Lebensmitteln ausschlaggebend dafür war. 
 
Was sind die Hintergründe? Die zumeist pflanzliche und rohe Nahrung war schwer verdaulich und benötigte viele Ressourcen im Darm, was zu dem damals üblichen längeren Verdauungstrakt führte. Dieser wiederum benötigte Energie. Mutationen, die zu einem verkürzten Darm und einem vergrößerten Gehirn führten, konnten sich erst durchsetzen, nachdem eine Veränderung in der Ernährung stattgefunden hatte. Lebensmittel mussten leichter verdaulich sein und dadurch sowie durch potenzielle Lagerhaltung mehr Energie zur Verfügung stellen. Die Autor:innen der Studie argumentieren, dass externe (außerhalb des Körpers stattfindende) Fermentation eine Vorverdauung der Nährstoffe ermöglichte. Die Notwendigkeit eines langen Dickdarms verringerte sich dadurch, und die eingesparte Energie konnte nun für andere Prozesse genutzt werden. 
 
Wie rechtfertigen die Autor:innen ihre Hypothese? Zunächst weisen sie darauf hin, dass die Nutzung von Feuer für die Nahrungsverarbeitung zeitlich weit nach dem Beginn des Gehirnwachstums lag. Des Weiteren sind sie der Meinung, dass es für den Umgang mit Feuer und dem Nutzen zur Lebensmittelverarbeitung kognitive Fähigkeiten benötigt, die zu Zeiten kleinerer Gehirne, vergleichbar mit denen von Schimpansen, fraglich waren.  Im Gegensatz dazu bedarf es für die Fermentation keines „Aha“-Moments; sie erfolgt täglich und passiv. Feuer hingegen, trifft man nicht unbedingt täglich auf seinem Streifzug durch die Savannen und Wälder. Die Fähigkeit, die sporadische Entdeckung des Feuers mit der Nahrungsverarbeitung in Verbindung zu bringen und dies zu reproduzieren, erforderte deutlich komplexere Fähigkeiten als die passive Nutzung der Fermentation. Außerdem wurden Lebensmittel durch Fermentation haltbar und lagerfähig, was zusätzliche Energiereserven schaffte, die für die Gehirnentwicklung benötigt wurden. 
 
Braucht man zum Fermentieren von Lebensmitteln nicht auch ausgereifte kognitive Fähigkeiten? Für das Level unserer heutigen Fermentation ja, aber damals fand die Fermentation wahrscheinlich rein zufällig statt. Unsere Vorfahren haben Lebensmittel und ihre Werkzeuge zur Verarbeitung zu spezifischen Orten über Strecken von bis zu 10km befördert. Essen wurde über lange Strecken transportiert, gelagert, etwas davon gegessen und Neues hinzugefügt. Sozial überlieferte Praktiken wie die Wiederverwendung derselben Lagerorte, Behälter oder Werkzeuge für die Lebensmittelverarbeitung hätten den Beginn der Fermentation und die Stabilität der laufenden Fermentation weiter gefördert. 
 
Die Argumentation dieser Studie öffnet eine neue Perspektive auf die Rolle der Fermentation in der menschlichen Evolution und ergänzt bestehende Theorien um eine wichtige Dimension. Zur vollständigen Studie geht es hier.

Stefanie Kratzenstein
Stefanie Kratzenstein
Food Campus Berlin

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